Daniel Nartschick: „Die Steigerung von hiper analoger Fotografie ist Polaroid…“

Die Steigerung von hiper analoger Fotografie ist Polaroid. Das ist gewissermaßen die
Krone des Hipstertums. Und auch daran ist bei mir wieder einmal Facebook schuld,
was ich ungerne sage, weil dieses Netzwerk viel zu viel Bedeutung in meinem Leben hat…
solange es überhaupt eine hat. Aber so ist es. Ich sah ständig diese Bilder, die ihre Inhalte
so umformen, dass nicht mehr die Form dem Inhalt gehorcht, sondern der Inhalt fast zur
Form wird. Ich wollte das irgendwann auch. Und wie beim Staubsauger oder beim Heim-
drucker oder… ist der Einsteig leicht und billig. Nur das Verbrauchsmaterial kostet dann
ein Schweinegeld (Woher kommt dieser Ausdruck?) Aber das macht man sich natürlich
nicht klar. Man ist von Emotionen geflutet. Leidenschaft regiert das Buchhaltergehirn und
singt es nieder.

Und man muss ja auch nirgendwohin. Kein Einkaufsweg, bei dem abwägt. Man klickt
zweimal und wenig später kommt schon der Postbote und noch vor der ersten Reue hat
man das Paket ausgepackt (über das Auspacken von Produkten gibt es so viele Videos…
es ist irre. Manchmal wäre ich gerne der Ethnologe, der in fünfhundert Jahren den Spät-
kapitalismus untersucht und theoretisiert.)
 


 
Was einmal zur Überprüfung einer Arbeitshypothese diente, ist längst – aus Seltenheits-
gründen und weil es schlicht teuer ist – zur eigenen Kunstform geworden. Außerdem wird
es nicht mehr als Ersatz
für das eigentliche Bild, sondern gemäß seiner eigenen Gesetze
eingesetzt.
Und ist das Bild. 

Alle, die behaupten, Polaroid wegen des Zufalls zu lieben und weil „man nie weiß, was raus-
kommt“ lügen. Entweder andere an oder sich selbst
was vor. Oder schönstenfalls gar beides.
In Wahrheit weiß man genau, was man will. Man bekommt es nur so selten hin und man
beherrscht den Prozess so schlecht. Es ist in vielerlei Hinsicht wie im Winter, wenn man,
weil man es eilig hatte, nur ein Löchlein in die Windschutzscheibe gekratzt hat und dann
nur langsam vorankommt und… Angst hat. Umso größer die Euphorie, wenn man heile an-
kommt. Und auch noch pünktlich.
 

Und am Ende aller dieser zweifelhaften Zweifel bin ich schier begeistert, wenn ich die Bilder
sehe. Mir gefällt das. Es geht schnell. Und man muss selbst auch schnell sein und vorsichtig
und zugleich ein verrücktes, vielleicht übersteigertes Vertrauen in sich selbst haben, wenn
man den Moment erwischen will. Jedenfalls, wenn der Moment knapp zwei Euro kostet.
 

 

Dieser Look aus Künstlichkeit und Moment, den man meist als Widerspruch von Form
und Natürlichkeit zu beschreiben versucht ist. Und dann noch die Erinnerung daran, da
ss
die Welt einmal genauso aussah (jedenfalls, wenn man sich eingesteht, dass Realität, wozu
Erinnerung gehört, gemacht und hergestellt ist und nicht einfach so stupide vor sich hin
existiert).
 
 
Polaroids sind für Fotografierende, was Madeleines für Proust sind. 
 Kurz: Ich bin immer noch verliebt. 

Daniel Nartschick
www.instagram.com/daniel_nartschic