Unterwegs im Sandmeer und Wattwasser

Baltrum mit der Kamera entdecken

von Hermann Groeneveld / SilvergrainClassics

Fotos: Hermann Groeneveld

Ostfriesland ist der nordwestlichste Zipfel Deutschlands, an die Niederlande angrenzend. Sieben bewohnte Inseln und ein paar Sandbänke reihten sich wie eine Perlenkette in der Nordsee entlang der ostfriesischen Küste auf. Dort sprechen die Menschen neben Hochdeutsch eine eigene Sprache: Plattdeutsch. Ich lebe als gebürtiger Ostfriese seit 50 Jahren in Oberbayern. Und fühle mich hier, im südlichen Landkreis Münchens auch durchaus sozialisiert. Dennoch zieht es mich immer wieder in meine alte Heimat. Ganz besonders gerne bin ich auf meinen ‚kleinen Sandhaufen in der Nordsee’, Baltrum. Dies ist die kleinste und wie ich meine, die schönste der Ostfriesischen Inseln.

Auf der autofreien Insel bewegt man sich vorwiegend zu Fuß fort. Das hat an sich schon etwas Entschleunigendes, was für mich bereits mit dem Ablegen der Fähre vom Küstenhafen Neßmersiel beginnt. Und die Suche nach fotografischen Kleinoden, ohne Erfolgsdruck aber auch ohne Erfolgsgarantie dann erst recht. Die analoge Fotografie passt für mich perfekt zu diesem Lebensgefühl.

Ich genieße es, stundenlang alleine auf der Insel unterwegs zu sein, auf der Suche nach Spuren, die Ebbe und Flut, Wind und Regen in den Sandstrand, in die Dünen und in das Wattenmeer gezeichnet haben. Aus anfänglich nur gelegentlich auf Spaziergängen entstandenen Bildern wurde über die Jahre ein großes Projekt. Das Kleine, Unscheinbare in Bildern groß und nahbar zu machen, das wurde zur Aufgabe, die ich nie abschließen kann. Ich kenne mittlerweile die Plätze, wo die gestalterischen Kräfte der Natur Landschaften von bizarrer Schönheit entstehen lassen, immer wieder neu und völlig anders, als beim Besuch im Jahr zuvor. Es sind die kleinen Kunstwerke, welche sich vor meinen Augen ausbreiten, die bei mir vom Kopf direkt ins Herz wandern und an denen die meisten Menschen vorbei gehen: Verwaschene Priele und Rillen bei einsetzender Ebbe, Strukturen sanfter Wellen bei auflaufendem Wasser, Licht und Schatten wind-gezeichneter Dünen mit Strandhafer.

Besonders reizvoll finde ich es, feinste Graunuancen aufzuspüren, bei denen ich hinterher selber oft rätsele, ob ich Wasser photographiert habe oder Sand oder vielleicht auch beides. Es kommt vor, dass ich den Bildausschnitt so stark eingrenze, dass sich, dank der zusätzlichen Reduzierung durch den Schwarzweißfilm und das Fehlen jeglicher Bezugsgröße, kaum noch nachvollziehen lässt, was ich eigentlich fotografiert habe. Ich mag es, bei meinen Bildern so in die Abstraktion zu gehen, dass sie dem Betrachter Rätsel aufgeben. In der Fotografie ermöglicht oft erst die Reduzierung auf das Wesentliche die Vielfalt der Natur zu entdecken. Gleichwohl ist alles Sichtbare in den gedruckten Bildern real in den Original-Negativen vorhanden. Ich habe nichts weggelassen und nichts hinzugefügt.

Natürlich gibt es in meiner fotografischen Laufbahn durchaus Vorbilder, an denen ich mich orientiert habe. Brett Weston mit seinem ‚The White Sands Portfolio‘ sei erwähnt. Ich liebe die fotografischen Abstraktionen in Architektur und Natur von Bruce Barnbaum. Die Augen für das was sich vor der Küste meiner Heimat, im ‚Naturerbe Wattenmeer‘ abspielt, hat mir Alfred Ehrhardt geöffnet: Sein Buch ‚Das Watt’ aus dem Jahre 1937 erstmals veröffentlicht, als original getreue Faksimile-Auflage ist es 2013 erneut erschienen. Seine Sichtweise war sehr dokumentarisch und vom Bauhaus-Stil geprägt. Handwerklich mit einfachsten Mitteln, einer Zeiß-Ikon-Camera 6 x 9 cm umgesetzt. Das war für mich die perfekte Anregung, meine eigene Interpretation der Landschaften auf Baltrum zu finden.

Um genügend Raum für das Eigentliche zu lassen, für das Suchen und das Sehen, ist meine Fotoausrüstung eher spartanisch: Eine mit ADOX Silvermax oder ADOX CHS 100 II Schwarzweißfilm geladene Leica M6, die ich meistens unauffällig und zum Schutz vor dem feinen Sand unter der Jacke trage. Dazu das Summicron-M 1:2/35, welches ich überwiegend einsetze. Und gelegentlich das Summilux-M 1:1,4/75. Das waren mehr als 30 Jahre lang meine einzigen Objektive.
Da ich an der See an hellen Tagen etwa zwei Blenden mehr Licht erwarten kann, als gewöhnlich, komme ich häufig ohne Stativ aus, habe aber ein kleines Reisestativ stets zur Hand. Denn mit Langzeitbelichtungen im Sekunden-Bereich eröffne ich mir weitere Perspektiven: Wasser, Sand und Wolken scheinen sich zu vermischen, graue Flächen überlagern sich und schaffen völlig neue Formen und Strukturen. Mit ein wenig Nervenkitzel dabei. Denn die Resultate dieser eher experimentellen Arbeitsweise leben davon, sich mit dem Spiel unterschiedlicher Belichtungszeiten langsam an ein überzeugendes Ergebnis heranzutasten. Was dabei heraus kommt, ist kaum vorhersehbar. Erst der Schwarzweißfilm auf dem Leuchttisch offenbart mach angenehme Überraschung. Aber auch so manchen Ausschuss. Allerdings lehrte mich die Erfahrung, die Treffsicherheit schon bei der Aufnahme zu erhöhen.

Die Fotografien dieses Portfolios entstanden in den Jahren 2007 bis 2022. Die Schwarzweißfilme habe ich selber digitalisiert. Viele Jahre mit einem Nikon Super Coolscan 5000 ED und dem Scan-Programm VueScan. Die Bearbeitung der Ergebnisse, wie Schärfen, Kontrastanpassungen und partielles Nachbelichten erfolgte in Affinity Photo.
Mittlerweile arbeite ich mit einem Plustek OpticFilm 120 und der SilverFast Archive Suite. Die Ergebnisse sind nach meinen Erfahrungen genauso gut, wie mit einem Trommelscanner. Und die Software SilverFast unterstützt mich bei der Organisation meines Bildarchivs.

Aus Licht wird Belichtung: Eine Chance, Baltrum selbst zu erleben

Auf das zauberhafte Eiland Baltrum führt im Mai 2025 mein siebentägiger Fotoreise-Workshop Unterwegs im Sandmeer und Wattwasser von Baltrum mit der SilvergrainClassics Academy für Freunde der Film-Fotografie. Während ausgiebiger FotoWalks führe ich an meine Lieblings-Fotoplätze auf der Insel. Das Licht des Nordens, seine einfühlsame Beobachtung und die korrekte Belichtung des Filmmaterials stellen einen kreativen Prozess dar, ob nun bei direktem Sonnenlicht, bewölktem Himmel, zur Blauen Stunde oder gar bei Regenwetter. Der unterstützende Einsatz und Mehrwert eines separaten Belichtungsmessers wird an praktischen Beispielen erläutert. Ebenso der Farb- und Graustufen-Filtereinsatz für Schwarzweißfilme.Marwan El Mozayen, Herausgeber von SilvergrainClassics wird die Entwicklung belichteter Kleinbild und Mittelformat-Schwarzweißfilme zu Diapositiven vor Ort anbieten. So können Bildergebnisse gleich geteilt und analysiert werden. Eine Scan-Station nebst Computer und Filmscanner von Plustek mit der Scan-Software SilverFast wird uns das Digitalisieren der tagesaktuellen Ergebnisse ermöglichen.
Ich freue mich auf Gleichgesinnte und einen regen Erfahrungsaustausch. Selbstverständlich kann auch die Digitalkamera eingesetzt werden.

Fotoreise-Workshop „Unterwegs im Sandmeer und Wattwasser von Baltrum“

Hier findest Du Informationen zum Fotoreise-Workshop Unterwegs im Sandmeer und Wattwasser von Baltrum und einen Link zur Buchung bis spätestens 31. Dezember 2024. Schau auch gerne bei unserem kompletten Workshop-Programm von SilvergrainClassics unter Workshop & Tours vorbei.

Mehr Fotos von mir gibt es auf meiner meiner Webseite Mit meinem Blick und auf meiner eigenen Baltrum-Seite Baltrum Photos.

Dies ist ein aus dem Englischen übersetzter Beitrag, der erstmals in der Ausgabe 24 von SilvergrainClassics erschien.