Pentacon 5,6 / 500mm
Von Marwan El Mozayen / SilvergrainClassics
Ich nehme an, jeder, der beruflich oder in seiner Freizeit kreativ ist, landet irgendwann in einem kreativen Loch. Es sieht so aus, als würde nichts Neues mehr kommen. Man hat keine Ideen, man dreht sich im Kreis und verliert dadurch den Spaß an allem. In meinem Fall hat es dann meist mit Fotografie zu tun. 1001 Tipps und Ratschläge sollen einem da raus helfen. Für mich persönlich gibt es mehrere Möglichkeiten, mit denen ich mich dann oft wieder wachrütteln kann. Einer dieser Wege ist die Beschränkung auf etwas scheinbar Komplizierteres, das einen aus seiner persönlichen Komfortzone reißt.
Von Ästhetik der Smartphone-Objektive zum „Super-Tele“
Wenn ich mit vielen Fotografen über Objektive spreche, stelle ich fest, dass der Großteil meiner Gesprächspartner fast ausschließlich Brennweiten um 35 mm bevorzugt, also den moderaten Weitwinkel-Bereich. Diese verwenden sie besonders gerne an einer Sucherkamera und das mit großer Blende zu Gunsten von hoher Schärfentiefe. Und seien wir ehrlich, die leichte Weitwinkel-Perspektive dominiert die sozialen Medien. Nicht nur wegen der Tatsache, dass sie bei Messsucherkameras beliebt ist. Sondern auch, weil die meisten Smartphone-Objektive eine vergleichbare Bildästhetik erzeugen.
Führt man ein vergleichbares Gespräch mit einem professionellen Fotografen, vor allem mit solchen, die noch in den goldenen Zeiten der analogen Fotografie aktiv waren, stehen lange Brennweiten im Vordergrund. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Keiner dieser Fotografen war Tier- oder Sportfotograf, sondern im Mode- oder Porträtbereich unterwegs.
Geringe Schärfentiefe als kreative Herausforderung
Im Allgemeinen sind Teleobjektive im fotografischen Sprachgebrauch Objektive mit einer längeren Brennweite und einem kleineren Bildwinkel als ein normales Objektiv. Sie werden in der Regel verwendet, um weiter entfernte Objekte, ähnlich wie ein Fernglas, zu vergrößern und so näher heran zu holen. Ein weiteres Merkmal der Abbildungseigenschaften von Teleobjektiven ist ihre geringe Schärfentiefe im Vergleich zu Objektiven mit kürzeren Brennweiten. Dies kann gezielt eingesetzt werden, um nur das eigentliche Fotomotiv scharf abzubilden, während Objekte, die näher an der Kamera oder weiter im Hintergrund liegen, erkennbar unscharf erscheinen. Dieser Effekt kann gezielt für kreative Bildkomposition genutzt werden. Er mag aber auch manchmal nachteilig erscheinen, wenn mehrere Objekte in unterschiedlichen Abständen von der Kamera scharf eingefangen werden müssen.
Nicht weil es einfach ist, sondern weil es schwer ist
Relativ leichtgewichtige Teleobjektive sind oft nicht besonders lichtstark. Lichtstarke Teleobjektive, also jene mit einer großen Anfangsöffnung, sind dagegen meistens deutlich schwerer. Bei Freihandfotografie drohen Verwacklungen von einem an sich gelungenem Motiv. Je nach Lichtverhältnissen passiert einem das öfter, als einem anfangs bewußt ist. Im Kamerasucher sah das Bild scharf aus – erst in der Laborvergrößerung oder beim Digitalisieren wird die mögliche Unschärfe gnadenlos sichtbar.
Und da haben wir die Herausforderung, die wir zu Beginn dieses Artikels angesprochen haben. Um John F. Kennedys berühmte Mondrede zu paraphrasieren: Wir werden Teleobjektive nicht deshalb wählen, weil sie einfach zu bedienen sind, sondern weil sie schwer zu bedienen sind.
Und um das Ganze auch wirklich herausfordernd zu machen, starten wir gleich im Mittelformat. Interessanterweise waren lange Telebrennweiten für Mittelformatsysteme zum Zeitpunkt ihres Erscheinens sehr teuer. Diese Objektive wurden in kleinen Stückzahlen gebaut, teilweise nur auf Direktbestellung; sie gingen meist an professionelle Fotografen, die damit Geld verdienen mussten. Aufgrund der heutigen geringen Nachfrage können diese Objektive nunmehr erstaunlich preiswert auf dem Gebrauchtmarkt erworben werden.
Die Gesamtlänge ist kürzer als die Brennweite
Foto: Kamerastore, Tampere, Finland
Wir schauen uns ein wahrliches Telemonster an: Das Orestegor oder das Pentacon 5,6 / 500 mm für das Pentacon six 6X6 System.
Die Objektive des Praktisix Systems genossen einen hervorragenden Ruf in der Profiliga. Der erste deutsche Oscar-Preisträger nach dem Krieg, Bernhard Grzimek, nutzte die Praktisix Teleobjektive für seine Fotografie der afrikanischen Serengeti-Tierwelt.
Heutige Marketingspezialisten würden es als Super-Tele bezeichnen. Das Pentacon 5,6 / 500 mm wurde erstmals 1965 auf der Leipziger Frühjahrsmesse vorgestellt und rundete das Teleprogramm von Pentacon six nach oben hin ab. Das Objektiv verwendete den gleichen Adapter wie das berühmte 300 mm des Unternehmens und wurde daher explizit für das Mittelformat konzipiert. Aus der Patentanmeldung geht hervor, dass besonderes Augenmerk auf die Minimierung oder sogar Eliminierung der Vignettierung gelegt wurde, was angesichts des primären Designs der Orelegor für das Mittelformat 6×6 notwendig war. Trotz der damals konkurrenzlos großzügigen Abmessungen des Praktisix-Bajonetts waren sorgfältige Konstruktionsarbeiten notwendig. Dabei ist es den Entwicklern gelungen, ein echtes Teleobjektiv zu entwickeln, bei dem die Gesamtlänge des Objektivs deutlich kürzer ist als seine Brennweite.
Foto: Kober GmbH, Graz, Austria
Vom Orestegor zum Prakticar
Die Geschichte des Pentacon 5,6 / 500 mm erstreckt sich über drei Generationen: Die erste Generation lief unter dem Namen Orestegor 5.6/500. In den 1970er Jahren erfolgte die obligatorische Umbenennung in Pentacon 5.6/500 und auch eine leichte Änderung im Laufdesign. Auffällig sind hier die Griffmulden und die orangefarbene Entfernungsskala in Fuß. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre folgte die berühmteste Version mit einer Kreuzrändelung des Messrings. Dieses wurde erst in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre abgelöst, als das Objektiv in Prakticar 5.6/500 umbenannt wurde. Die wichtigste Änderung ist jedoch die Einführung einer Mehrschichtvergütung.
Foto: Das Orestegor 5,5 / 500 aus dem Jahr 1968,
für Praktica, Pentacon, Praktika und Exakta.
Wechseladapter für 24x36mm und für Praktisch 6 x 6 cm.
Mein Exemplar ist aus der zweiten Generation und trägt somit die Bezeichnung Pentacon 5,6/500 mm. Das Angebot auf dem Gebrauchtmarkt ist groß und die Preise sind moderat.
Wer nur Standardbrennweiten gewohnt ist, wird überrascht sein, wie sich ein so schweres Objektiv anfühlt.
Foto: Pentacon 5,6 / 500 für Pentacon six TL
Ein außergewöhnliches Portrait-Shooting
Auf den ersten Blick scheint dieses massive Objektiv ein nicht sehr praktisches Werkzeug zu sein. Freihand-Aufnahmen sind ausgeschlossen. Aber mit dem Erwerb des Objektivs habe ich mich von seinem Gewicht nicht abschrecken lassen. Nun gilt es, die Herausforderung anzunehmen – also raus aus der persönlichen Komfortzone.
Ich hatte es geschafft, das Pentacon 5,6/500 mm zum ersten Mal im Freien auszuprobieren. Das fand im Spätherbst statt. Die Idee: Ein Portrait-Shooting vor dem Hintergrund von intensivem Herbstlaub. Ich lud einen Cinestill 800T in meine Pentacon six TL, stellte den Minolta Spotmeter F auf ISO 640 ein. Montiert wurde das Ganze auf einem stabilen Berlebach Holzstativ.
Charys auf CineStill 800T mit dem Pentacon 5,6/500 mm aufgenommen.
Foto: Marwan El Mozayen
Juliette auf Kodak Portra 800 mit dem Pentacon 5,6/500 mm aufgenommen.
Foto: Marwan El Mozayen
Ein kleiner Nachteil ist der Abstand zum Modell. Es ist tatsächlich notwendig, etwas lauter zu kommunizieren und sichtbar zu gestikulieren, da die Abstände bei einer Ganzkörperaufnahme für ein Modell-Shooting anfangs ungewöhnlich groß sind. Aber es funktioniert. Es ist wichtig, vor dem Aufstellen des Stativs an der Location sorgfältig zu planen. Das erinnert schon ein wenig an den Aufwand, den man aus der Großformatfotografie gwewohnt ist. Alles ist etwas träger als bei anderen Objektiven. Anderseits wird der Fokus nicht so schnell unbeabsichtigt verstellt.
Die Arbeitsblende wird von Hand eingestellt
Meine Pentacon six TL wurde bereits von Pentacon mit einer extrem hellen modernen Rollei Rastermattscheibe nachgerüstet. Das macht das Betrachten des Bildes zu einem absoluten Vergnügen. Die originale, weniger helle Mattscheibe kann bisweilen zu einer kleinen Herausforderung werden.
Bereits im Sucherbild macht sich der Ausschnitt des Porträts deutlich bemerkbar. Da das Objektiv über keine automatische Springblende verfügt, muss es manuell auf Arbeitsblende abgeblendet werden, nachdem im Sucher die Fokussierung gewissenhaft geprüft wurde. Der Prismensucher ist dem Lichtschachtsucher auf Hüfthöhe in diesem Anwendungsfall deutlich überlegen. Die Blende kann mit einem zweiten Ring vorgewählt werden. Man darf nicht vergessen, diesen Ring nach dem Einstellen und vor dem Auslösen bis zum Anschlag zu drehen.
Nur fürs Mittelformat geeignet
Im darauffolgenden Sommer wurde das Objektiv aufgrund der positiven Erfahrungen wieder verwendet. Ziel war es, das Pentacon 500mm mit dem Hasselblad Carl Zeiss Tele-Tessar T* 8/500 mm zu vergleichen. Diesmal bei extrem hellem Umgebungslicht. Der Kodak Portra 800 war fast zu empfindlich. Eine starke Abblendung bei 1/1000s Belichtung war notwendig. Aber auch diese Ergebnisse haben mich überzeugt. Wie sie im Vergleich zur 500 mm Hasselblad abschneiden, wird in Teil 2 dieser Serie besprochen. Für mich steht aber fest, dass dieses Objektiv zu meinem festen Repertoire gehört und auch neue Perspektiven schafft, die ihren ganz eigenen Reiz haben.
Das Pentacon 5,6/500 mm lässt sich dank des bereits ab Werk mitgelieferten Adaptersystems problemlos an andere Mittelformatkameras mit Focal-Plane-Shutter anpassen. Für 35 mm-Kameras ist es weniger geeignet. Seine guten Eigenschaften sind an das Mittelformat angepasst. Im Kleinbild-Bereich kann es diese einfach nicht ausspielen, seine Abbildungsleistung wäre nur mittelmäßig. Die Nachteile von Gewichts und Größe können die Bildergebnisse nicht wett machen. Aus Unkenntnis dieser Sachlage verteilt die digitale APS-C-Fraktion diesem Objektiv gelegentlich schlechte Noten.
Speziell für hochwertige lange Brennweiten für das Kleinbildformat wurde in den 1970er Jahren eine völlig neue Generation von Fluorit-Objektiven entwickelt. Damit können die alten Pentacon-Objektive nicht mithalten. Als Mittelformat-Fotograf jedoch bekommt man ein wunderbares Objektiv, das frei von Vignettierung bis in die Ecken ausleuchtet und zauberhafte Bilder macht.
Meine ersten Testaufnahmen sind meiner Meinung sehr gelungen. Sie haben mich aus meiner Komfortzone heraus gelockt und mir zu einer neuen kreativen Herausforderung verholfen. Nach diesem Test werde ich das Pentacon 5,6/500 mm für einige redaktionelle Vintage-Shootings verwenden.
Hinweis
Dieser kostenlose Beitrag stammt von der SilvergrainClassics Redaktion und wurde aus dem Englischen übersetzt.
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