Seagull 4A103: Günstige Doppellinse

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„Ich möchte gerne so eine alte edle große Kamera, wo man von oben rein guckt.“

Und auch diese Frage höre ich relativ häufig und muss leider auch immer mitbekommen, wie die Steller dieser Frage recht schnell auf die zwar schöne aber für die meisten unbezahlbare Rolleiflex verweisen werden. Aber es gibt eine günstige Alternative und zwar aus China, die Seagulls.

Das Besondere

Das Besondere an den Seagulls ist als erste ihr meist recht niedriger Preis, in der Regel ist man von 50 bis 75 Euro dabei, und die Qualität welche man dafür bekommt. Vergleichbare Kameras im 6×6 Format kosten schon mal schnell das doppelte.

Historische Einordnung

Mitte der Sechziger Jahre begann eine nicht näher bekannte Firma im chinesischem Schanghai mit der Produktion dieser Kameras, welche sich stark an Design und Funktion der bereits erwähnten Rolleiflex orientierten.  Dabei sollten die Kameras wohl eine günstige Alternative zum japanischen Yashicamat darstellen. Wie für planwirtschaftliche Produktion üblich, wurden raue Massen dieser Kameras produziert und auch nicht wenige ins Ausland verkauft.

Was ist eine Doppeläugige Kamera?

Bevor es möglich war Spiegelreflexkamera zu konstruieren, bei denen sich Sucher und Film ein Objektiv quasi teilen, mussten beide mit je einem eigenen Objektiv auskommen. Dabei ist bei einer Doppeläugigen Kamera meist das obere Objektiv für den Sucher, und damit den Fotografen, gedacht und das untere für den Film. Kameras dieser Bauart sind zwar groß aber auch leise, da kein Spiegel hochgeklappt werden muss.

Verarbeitung

Die Seagull 4A103 ist alles in allem gut verarbeitet, auch wenn sich dies von Modell zu Modell schon mal stark unterscheiden kann, da in Shanghai nicht immer die beste Qualitätskontrolle zur Anwendung kam. Eine klare Schwachstelle ist der Kleber, mit welchem die Belederung an der Kamera angebracht wurde, hier lösen sich schon mal Teile ab, aber dies lässt sich schnell mit etwas Sekundenkleber beheben.

Ladung

Die Seagull 4A103 wird wie alle Seagull 4 Modelle mit 120 Rollfilm beladen, also dem zweithäufigsten Format, welches man noch in so gut wie jedem Fotofachgeschäft bekommt. Dabei belichtet die Kamera immer einen Bereich von 6x6cm auf den Film und kann so 12 Bilder auf einem 120er Film unterbringen, wobei die Bilder am Ende logischerweise quadratisch sind. Eine Batterie benötigt die Seagull A Serie ebenfalls nicht, denn hier läuft alles mechanisch ab. Du musst dir also keine Sorgen um Strom machen, die Seagull arbeitet auch bei niedrigsten Themperaturen problemlos. Wie du die Seagull genau mit Film belädst, erfährst du entweder aus dem Handbuch oder aus einem Video von mir.

Belichtung

Der Nachteil der rein mechanischen Bauweise ist, dass su ein externes Gerät zur Belichtungsmessung benötigst, dass kann ein Belichtungsmesser sein oder einfach dein Smartphone mit entsprechender App. Ich persönlich benutze LightMeter und LightMeter Tools.  An Belichtungszeiten bietet die Kamera die erst etwas ungewöhnliche Zeit 300 gefolgt von 125 in regulären ganzen Schritten runter bis zu einer Sekunde plus Bulb. Dank des Zentralverschlusses, kannst du alle diese Zeiten zusammen mit einem Blitz benutzen. Wenn du die Kamera vor deinen Bauch presst und die Luft anhält kannst du mit 30 als sichere Zeit benutzen, wenn du die Lupe, später dazu mehr, benutzt sind 60 noch ok. Ein kleiner Nachteil der Seagull ist leider, dass man die eingestellten Werte nicht von oben ablesen kann, du muss die Kamera also, mit dem Objektiv zu dir hin, nach oben kippen um zu sehen, welche Verschlusszeit und Blende grade eingestellt ist.

Fokussieren

Die Scharfstellung an der Seagull ist etwas ganz besonderes, da man hier nicht durch ein kleines dunkles Loch guckt, sondern von oben in einen hellen sogenannten Lichtchtschachtsucher. Dieser wirkt fast so, als hätte man das fertige Bild vor sich in den Händen. Wo durch sich das Fotografieren auf einmal ganz anders anfühlt, du wirst zwar langsamer, bekommst aber einen besseren Eindruck vom späteren Bild. Worauf du aber unbedingt achten musst, ist ein gerader Horizont, denn eine Kamera mit dieser Art von Sucher, hält man schon mal schnell schief, ohne es bewusst zu merken. Auch sieht man alles Spiegelverkehrt, durch den Sucher gucken und dabei Laufen ist also eine eher schlechte Idee. Eingestellt wird die Entfernung an einem Rad auf der linken Gehäuseseite, welches auch über eine Skala für die genaue Schärfentiefe verfügt, um diese abzulesen muss man die Kamera allerdings auf die Seite kippen, was leider etwas unpraktisch ist. Solltest du den schärfsten Punkt trotz des hellen Sucher nicht finden, hilft bei der 4A103 ein Schnittbild Indikator, der allerdings nur korrekt arbeitet, wenn du ein Auge schließt oder besser mit einem Auge durch die Ausklappbare Lupe guckst. Das Sucherbild erscheint dadurch gigantisch groß. Zur Seagull muss ich aber noch sagen dass sie, wie alle Doppeläugigen Kameras, ein paar kleine Probleme hat und zwar wird das Bild im Sucher nicht von dem gleichen Objektiv projiziert und das später den Film belichtet. So kann es sein, dass das Bild bei Nahaufnahmen leicht nach unten verrutscht oder das untere Objektiv von etwas verdeckt wird, ohne das man es merkt. Für Notfälle und Aufnahmen aus Augenhöhe bietet die Kamera noch einen langweiligen Rahmensucher an, aber wer nutzt den schon?

Filmtransport

Der Filmtransport erfolgt bei den beiden Hauptgruppen der Seagulls unterschiedlich, wo die 4B Typen auf ein manuelles Transportsystem mit Guckloch für die Bildnummer setzen, da benutzten die 4A Kameras eine komfortable Kurbel, welche man einfach nur solange in drehen muss, bis sich diese nicht mehr bewegt. Dabei muss man aber sicherstellen, dass sich die Kurbel weder nach links noch nach rechts dreht. Ein automatischer Schutz gegen Doppelbelichtungen ist bei der 4A103 zwar eingebaut aber mit einem Druck auf eine spezielle Taste in der Nähe der Kurbel lassen sich trotzdem Doppelbilder erstellen. Der Filmtransport ist zwar nicht der ruppigste und 120 Rollfilm hält dank seiner Papierrückwand bekanntlich eine Menge aus aber trotzdem würde ich besagte Kurbel eher behutsam und vorsichtig benutzen. Der Vorteil der automatischen 4A besteht hauptsächlich darin, die Kamera zum Durchladen nicht vom Auge nehmen zu müssen.

Objektiv

Da die Seagull 4A103 keine Systemkamera ist, lässt sich das Objektiv oder genauer die Objektive nicht wechseln. Du bist also an das eingebaute Haiou Sa-85 mit 75mm Brennweite gebunden. Wenn du meinen Artikel zu den Brennweite gelesen hat, wunderst du dich jetzt eventuell ein wenig, denn eine Kamera mit fest eingebautem Portraitobjektiv ist doch eher ungewöhnlich. Da die Seagull aber mit dem Format 6×6 etwas mehr Film belichtet, als eine 35mm Kleinbildkamera, kommt es hier zu einer anderen Rechnung der Brennweite. Die 75mm des Haiou entsprichen in etwa 48mm bei Kleinbildfilm, die Seagull hat also ein minimal weiteres Normalobjektiv an Bord. Die Lichtstärke des Haiou ist mit f3,5 zwar nicht das hellste aber für den Preis schon ziemlich in ordnung. Etwas verwirrend kann es sein, dass das andere Objektiv eine Blende von f2.8 hat und damit etwas mehr Tiefenschärfe bietet. Du sieht also eventuell ein Bild im Sucher, das weniger Tiefenschärfe hat als das spätere Bild, wenn du dies im Hinterkopf behältst ist das aber kein Problem. Auch lässt sich das obere Objektiv, nicht abblenden für einen genauen Eindruck der Tiefenschärfe musst du dich also auf die Skala am Fokusrad und deine Vorstellungskraft verlassen. Die optische Qualität das Haiou ist gut aber nicht überragend, hier ist der Yashicamat eindeutig überlegen.

Erweiterung

Das man schon fest an ein Objektiv gebunden ist, wäre es eventuell Trästlich, dass die Seagull mit einem echten Blitzschuh kommt, der bei anderen Doppelaugen schon mal selten sein kann. Ich würde jedoch eher davon abraten, hier ein ausgewachsenes Blitzgerät anzubringen, denn der X Kontakt ist seitlich angebracht und wirkt nicht sehr stabil. Dazugesellt sich noch ein handelsübliches Stativgewinde und ein Blitz Synchronkontakt. Etwas problematisch ist leider der Gurtbefestigung, denn die Seagull 4A103 hat hier ein echt seltsames Knaufmaß, an das fast nur die eigenen Ösen passen. Wenn ihr euch also eine Seagull kauft, greift lieber zu einem Exemplar dem schon ein passender Gurt beiliegt. Wo sich dank der Doppeläugigen Bauweise ganz neue Möglichkeiten auftun, ist im Bereich der Filter. Da du nur durch das obere Objektiv siehst, kannst auf das Untere jeden erdenklichen Filter mit 34mm Gewinde schrauben, ohne das sich deine Sicht verschlechtert. Besonders Fotografie mit Infrarot- und starken Graufiltern wird so um einiges erleichtert.

Zusammenfgasstung

Die Seagull 4A103 ist neben der Seagull 4B die günstigste Doppeläugige Spiegelreflexkamera auf dem Markt, welche noch über die alte edle Optik verfügt. Sie ist gut verarbeitet, auch wenn sich oft das Leber ablöst. Leider besitzt sie keine Möglichkeit die Belichtung selber zu bestimmen, du braucht also ein externes Messgerät. Dafür geht das Fokussieren und Komponieren um so besser. Der Filmtransport ist bei der 4A einfach, bei der 4B etwas kniffelig. Das objektiv ist gut aber nicht überragend und die genaue Einschätzung der Schärfentiefe kann schwierig werden.

Beispielbilder

seagull_006_thirdseagull seagull_003_kutterBeide Aufgenommen auf Fuji Acro 100 ( Abgelaufen )

Seagul_Lomo_07 Seagul_Lomo_04Beide Aufgenommen auf Lomography 100 Color Print

So, ich hoffe dir hats gefallen und du weiß jetzt, dass es neben dem teuren Yashicamat und den naoch teureren Modellen von Rollei noch eine günstige Alternative gibt, um auch mal in den Genuss der Doppeläugigen Fotografie zu kommen. Ich würde mich natürlich wie immer über Kommentare freuen ..

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Wie sicher viele in meinem Alter damals, so um 2005, habe ich mit etwa 17 meine erste digitale Knipse bekommen. Um genau zu sein, eine echt grässliche Jaycam i6180 aus dem Teleshopping. 2008 gab diese dann leider den Geist auf und so bin ich auf eine um einiges bessere Samsung L200 umgestiegen, mit der ich aber auch eher sporadisch und meist im Urlaub fotografiert habe. Die wirklich Begeisterung für die Fotografie hat mich erst 2012 so richtig gepackt. Hauptsächlich ausgelöst natürlich durch Socialmedia im Allgemeinen und Instagram im Besonderen. Ich fand den Look der Bilder faszinierend, konnte mir aber kein Smart- phone leisten und so durchsuchte ich die Klamotten meiner Eltern nach einer angeblich noch vorhandenen Kamera. Und so fand ich eine alte Rollei 35 mit Tessar Objektiv, welche sofort mit auf den nächsten Urlaub kam. Als ich die Bilder das erste mal in der Hand hielt war ich begeistert von dem Look und vor allem auch von der Qualität. dany Da die Rollei zwar eine tolle Kamera ist aber ich mit dem Schätzen der Entfernung so meine Probleme habe, dauerte es keine paar Monate bis ich mit der Canon Av-1 und zwei Drittherstellerobjektiven in 50 und 135mm meine erste eigenen analoge Spiegel-refelxkamera besaß. Ab da an gab es natürlich auch später eine digitale Spiegelreflex- kamera aber die kommt meist wirklich nur zum Einsatz, wenn es gerade schnell gehen muss. Aktuell arbeite ich mit meiner neuen Yashica T3 und eine Mamiya RB67 will dringend ausprobierte werden.