Ende der 70iger gab es eine Fernsehsendung im Kinderprogramm und Udo Jürgens sang den Tietelsong und der Refrain war: „Was ist Zeit? – Was ist Zeit? – Was ist Zeit? Ein Augenblick? Ein Stundenschlag ?…..“
Mit 15 sah ich zum ersten mal eine Hasselblad und die Aufnahmen der Schwedin in den gängigen Fachzeitschriften faszinierten mich so von dem quadratischen Format, das in mir der Wunsch aufkam selber so bald als möglich in 6X6 zu arbeiten. Leider reichte mein Schüler Budget nicht für eine Hasselblad nicht einmal für eine Yashica 124G. Aber es reichte für das Abo des Hasselblad Magazins. So gegen 1989 brachte Brenner dann die Seagull auf den Markt für nur 150,- DM. Das Geld verdiente ich mir schnell bei einer Verkehrszählung und dann ging es direkt von der Geldausgabe des Ingenieurbüros stracks in Bad Kreuznach zu den Brückenhäusern, dort gab es einen Fotoladen mit einer zweiäugigen Kurbelmöwe in der Auslage.
Bei meinen ersten Versuchen kam ich mit der neuen für mich unbekannten Art nicht wirklich zurecht und ich merkte erst nach dem einlegen des Films das ich gar keinen Belichtungsmesser hatte. Meine über den Daumen belichteten ersten SW-Negative waren aber durchaus passabel und das Format gefiel mir nach anfänglicher Skepsis immer mehr. Nach dem Mauerfall wurde immer mehr über Kameras aus dem Ostblock berichtet und eine Fotoheft beschäftigte sich mit zwei Kameras aus der UdSSR, der Zenit 12XP und der Kiev 88.
Zu meinem Erstaunen ähnelte letztere Kamera der von mir verehrten Hasselblad nicht nur vom Konzept sondern auch vom Aussehen. Leider endete der Bericht ernüchternd damit das ein Set Kiev 88 mit zwei Magazinen einem TTL Prismensucher und der Standardbrennweite inklusive Streulichtblende, UV sowie Grünfilter knappe 2000,- DM beim deutschen Importeur kostet. Das war zwar verglichen mit dem schwedischen Vorbild ein Schnäppchen aber immer noch zu weit von dem entfernt was ich mir hätte leisten können. Also wurde weiter mit meiner Revue, der Seagull und manchmal wenn es mein Vater erlaubte mit der Minolta fotografiert. Und es wurde viel fotografiert und vergrössert. Übungsobjekte waren meine Mitschülerinnen was Portraitfotografie betraf und mit einigen meiner Schulkollegen betrieben wir zusammen eine Foto AG mit Zugang zum schuleigenen Fotolabor. Rückblickend betrachtet war es ein wunderbare Zeit des unbeschwerten experimentierens.
Parallel dazu war ich sehr aktiv an unserer ABI-Zeitung beteiligt. Ein Schulfreund von mir, mit etwas besserer finanzieller Ausstattung als ich sie hatte ließ sich damals von mir beraten welche Kamera er denn kaufen solle. Zu meinem Erstaunen besaß er am nächsten Tag dann auch das von mir empfohlene AF Modell mit Blitz Stativ und Tasche und nachdem ich ihm das Vergrössern beigebracht hatte folgte der von mir empfohlene Kaiser Farbvergrösserer (natürlich mit Farbmischkopf). Eines schönen Tages sollte ich kurzfristig einen Rollfim entwickeln, die Aufnahmen wurden für die Abizeitung dringend benötigt. Ich konnte das aber nicht selber erledigen da ich für eine bevorstehende Prüfung lernen musste und bat besagten Freund das für mich zu übernehmen. Am darauf folgenden Tag war er von den Mittelformat Negativen der Seagull so begeistert das er unbedingt eine Mittelformat Kamera haben wollte und begann zu recherchieren.
Aber auch er musste feststellen das die etablierten Modelle auch sein Budget überschritten, außer eine….die Kiev88 da gab es noch Chancen. Er forstete alle Anzeigen durch ( man muss dazu sagen Internet gab es noch nicht wir schreiben mittlerweile 1991) und fand eine Anzeige eines Aussiedlers aus der damaligen UdSSR der seine eigene Kiev mitsamt Telekonverter und 3,5 Jupiter 250mm für knappe 500 DM verkaufte. Da der Verkäufer aber in Stuttgart wohnte, über 200 km entfernt, dachte ich nicht weiter drüber nach und ging davon aus das da nichts weiteres daraus werden würde, schließlich standen ja auch Abi Prüfungen an und es war ja keine Zeit für solche Spielereien. Falsch gedacht, wo ein Wille da ist auch ein Weg und umso erstaunter war ich als er wenige Tage später vor meiner Haustüre stand und verkündete er sei nun Kiev88 Besitzer.
Es war das erste mal das ich eine solche Kamera dann auch wirklich in Händen hielt und dieses riesige massive, wie ein Kanonenrohr anmutende 250mm Teleobjektiv, beeindruckte mich umso nachhaltiger. Instinktiv drehte ich zuerst fälschlicherweise am seitlichen Spannknopf der Kamera um die Schärfe zu verstellen, so war ich es ja bei der Seagull gewohnt. Und dann nach der ersten Auslösung blieb der Sucher dunkel!!! Wir beide schauten uns entsetzt an und dachten wir hätten sie nun kaputt gemacht. Die russische Gebrauchsanleitung war nur bedingt hilfreich, so tasteten wir uns „learning by doing“ langsam an die Funktion heran und das Spannen und die Zeitverstellung wurde immer klarer . Die nächste Hürde war die Bedienung und das Wechseln der Magazine.
Aus heutiger Sicht vollkommen unverständlich das ich nicht sofort drauf gekommen bin wie es geht aber um es kurz zu machen wir haben so gut wie alles falsch gemacht. Dafür wurden wir auch mit überlappenden Aufnahmen bestraft. Irgendwie wussten wir auch nicht wie das Zählwerk zu handeln ist, denn manchmal kam ja die „1“ und andere male kam sie wieder nicht. Eine glücklicher Umstand half uns dann doch, denn eine Mitschülerin aus der ehemaligen DDR konnte russisch und sie brachte ein wenig Licht ins dunkle mit der Übersetzung der Anleitung, sodass die grössten Unklarheiten beseitigt werden konnten und wir endlich die ersten nicht überlappenden Aufnahmen produzierten. Was ein Etappensieg! Ja nur leider hatte ich immer noch keine…. Die letzte Abiturprüfung und der Abiball kamen und die Schule war aus und das für immer! Mein Schulfreund und ich machten dann gemeinsam eine Reise nach Marokko. Er mit seiner mittlerweile um ein 45er MIR Weitwinkel angewachsenen Ausrüstung und ich mit meiner ollen Revue und der Seagull. Wir kamen zurück mit mehreren 100 Kleinbild und Mittelformatdias.
Nach dieser Reise Anfang August begann mein Zivildienst Zeit als Rettungsanitäter beim Roten Kreuz. Da man als Zivi mehr Geld bekam als als Soldat und ich mittlerweile zusammen mit meinem Kumpel eine zuverlässige Bezugsquelle ausgemacht hatte über die ich eine getestete Kiev 88 mit Garantie erstehen konnte und darüber hinaus auch noch Service im Reparaturfall anbieten konnte, wurde mein erste Sold dafür fest eingeplant. Da ich bei der Einführung nur halb zugehört hatte dachte ich das Geld komme erst so gegen 31. August bis ein Zivikollege auf der Rettungswache fragte ob ich meinen Sold schon erhalten hätte. In der Mittagspause checkte ich schnell mein nun ausreichend gefülltes Konto um sciher zu gehen und bei meiner Rückkehr auf der Wache wurde sofort der Kiev Dealer meines Vertrauens in Barsinghausen angerufen. Ein wahnsinnig netter älterer Herr der mir unendlich viele Tipps mit auf dem Weg gab und sogar mir das ganze per Rechnung zusandte für 850,- DM inclusive eines Pistolengriffs. Wenige Tage später nach meinem Dienst kam ich zuhause an und das in braunem Packpapier eingeschnürte Paket stand in meinem Elternhaus auf dem Esstisch. Dem Set war eine mit Schreibmaschine geschriebene ausführliche Gebrauchsanleitung beigefügt die ich zum Glück nicht lesen musste, wusste ja mittlerweile wie sie funktioniert und sie funktionierte wie für mich geschaffen ohne die überall so gefürchteten Toleranzen oder Ausfälle.
Innerhalb eines Jahres folgte dann fast die gesamte verfügbare Objektivpalette sowie ein Polaroid Magazin und ich lernte das Fotografieren oder besser das fotografische Sehen von Grund auf neu.
Mittlerweile ist auch eine 500er Hasselblad dazugekommen sowie über die Jahre auch weiter Kievs und Saljuts. Aber diese eine erste würde ich wohl mit verbundnenen Augen unter allen erkennen und daher ist sie auch heute noch häufiger im Gebrauch als die Hasselblad.
Jetzt gerade beim schreiben fällt mir auf wie die Zeit vergeht, meine Kiev kam 1991 zu mir, bald nun 25 Jahre. Wie viele Menschen hab ich mit ihr aufgenommen, all die Begegnungen, Augenblicke und Orte manche dieser Menschen sind mittlerweile gar nicht mehr unter uns und manche Orte haben sich so verändert das man sie nicht mehr wiedererkennen würde.
ARAX in der Ukraine bietet eine Reinigung und Justage an, ich glaube ich sollte sie demnächst mal dahin senden ist möglicherweise eine gute Idee.
Text und Bilder: Marwan El-Mozayen